Konzert für Telefonanlage,
German-Marlene und großes Orchester
Schauspiel Dortmund 2021, SummerUp Festival #CoronaEdit
Dem Konzert für Telefonanlage, German-Marlene und großem Orchester liegen drei Aussagen bzw. Fragestellungen zugrunde. Zum einen bestand schon länger die Frage, ob und wie das Medium – oder besser gesagt: die Plattform – einer Telefonwarteschleife künstlerisch nutzbar sei. Mit welchen Erwartungshaltungen und Assoziationen lässt sich hierbei spielen?
Dem voraus ging eine wissenschaftliche Arbeit über die rezeptionsästhetische Auswirkung von Titel, Gattung und Genre als wichtigstes Bindeglied zwischen künstlerischem Erzeugnis und Rezipient. Um diesen Sachverhalt zu beschreiben stellte sich, mit Hilfe des soziologischen Framing-Ansatzes, der Begriff des Deutungsrahmen als äußerst wichtiges Werkzeug dar. So wird durch Titel, Gattung oder Genre beim Rezipienten ein Deutungsrahmen geschaffen, der sich durch dessen soziokulturelle Vorgeschichte und persönliche Erfahrungen etabliert. Dem Besucher einer Kunsthalle ist bspw. zunächst klar, dass der intendierte Fokus eines ausgestellten Gemäldes innerhalb des Bilderrahmens liegt. Der weißen Wand, an der das Gemälde hängt, bedarf es demnach keiner künstlerischen Deutung. Das zu Deutende befindet sich ausschließlich innerhalb des Bilderrahmens. In diesem einfachen Beispiel decken sich Deutungsrahmen und Bilderrahmen. Dass mit dieser Erwartungshaltung gebrochen werden kann und dies auch längst kein Novum mehr in der Musikwelt ist, zeigen allein schon Kompositionen wie Ligetis Poèm symphonique oder John Cages 4‘33‘‘ aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dennoch erscheint dieser Ansatz äußerst vielversprechend, um einen Rezipienten durch die vermeintliche Täuschung des künstlerischen Gegenstands, quasi von einer anderen Seite zu erreichen und eine etablierte Routine bzw. Seh- und Hörgewohnheit zu durchbrechen.
Den dritten Impuls zu dieser Warteschleifenkomposition gab eine, speziell in Zeiten der Corona- Pandemie, häufig gehörte Aussage, dass einem das Theater, die Oper oder das Konzert fehle, da man nun keine Gelegenheit mehr habe sich schick anzuziehen. Man mag diese Aussage bewerten, wie man will. Dennoch scheint für einen Großteil der Kulturrezipienten der Vorgang des sich-schick-machen und der anschließende Gang in die Öffentlichkeit ein wichtiger Bestandteil des gesamten Erlebnisses zu sein. Gemäß dem Motto: „Gib Ihnen was sie wollen. Aber verrate es Ihnen nicht!“ entstand also dieses Konzert, welches durch die Titelwahl einen Deutungsrahmen eröffnet, der die Teilnehmenden dazu veranlasst sich auf einen Konzertbesuch vorzubereiten.
Wird die angegebene Nummer angerufen, gelangt der Teilnehmende bzw. der „Konzertbesucher“ direkt in eine vermeintliche Warteschleife, die zum Konzert führt. Nach einer höflichen Begrüßung durch die digitale Speech to Voice Stimme von German-Marlene, wird der Anrufende darauf hingewiesen, dass das Konzert nicht bei ihm / ihr zu Hause stattfinden wird und dass er / sie sich für das anstehende Ereignis schick anziehen soll. Die Stimme von German-Marlene leitet den ganzen Anruf über die Aktionen des Teilnehmenden an. Unter der Prämisse, dass sie den Anrufenden zum Konzert führe, veranlasst die elektronische Stimme einige Reenactments von verschiedenen Task-Performances wie bspw. Vito Acconcis Following Piece. Die Stimme von German-Marlen wandelt sich dabei langsam von einer zunächst höflichen Stimme, die, wie üblich bei Warteschleifenansagen, charakterlos und neutral wirkt, zu einer sarkastischen und teils gemeinen, teils verletzlichen Sprecherin. Die Speech to Voice Stimme scheint im Laufe des Anrufes ihre Unmenschlichkeit zu verlieren und lässt eine emotionale Beziehung mit dem Anrufenden zu. Verstärkt wird dies durch verschleierte performative Übungen und private Fragen, die die Selbstreflektion anregen. Die Gefahr in eine klischeebelastete, auditive Meditationsübung zu verfallen, wird durch ständiges humoristisches und ironisches Aufbrechen der Situation verhindert. Nachdem sich der Anrufende ca. 30 min in der Warteschleife befunden hat und – wenn alle Anweisungen von German-Marlene befolgt wurden – sich draußen auf einer Bank oder ähnlichem befindet, befragt sie den Teilnehmenden noch einmal was dieser sich vom Konzert erwartet; verabschiedet sich und wünscht viel Spaß. Darauf folgt die allen bekannte, Nerven strapazierende, Ansage: „Leider sind derzeit alle Leitungen belegt. Bitte probieren Sie es später erneut.“. Was bleibt ist die Frage wo das Konzert war. Wann es begonnen hat und ob die Erwartungen nicht schon im Verlauf der Warteschleife erfüllt wurden.